Hunderte Klagen von Immobilienkonzern BCRE – „Nicht (mehr) qualifiziert“: Gericht hebelt Leipzigs Mietspiegel 2020 aus

In Leipzig hat eine Prozesswelle mit Hunderten Klagen vom Immobilienkonzern BCRE gegen Mieter begonnen. Ein Richter erklärte bereits, es sei „nicht zu beanstanden“, dass der Hausbesitzer seine Forderung nach mehr Geld auf drei Vergleichswohnungen gestützt habe – statt Leipzigs Mietspiegel zu akzeptieren.

Bei einer Klagewelle gegen den Leipziger Mietspiegel hat der Immobilienkonzern BCRE erste Erfolge am Amtsgericht errungen. In einem aktuellen richterlichen Hinweis, welcher der LVZ vorliegt, wird eine Mieterhöhung vom April 2023 nun prinzipiell für rechtmäßig erklärt.

Es sei „nicht zu beanstanden“, dass der Hausbesitzer seine Forderung nach mehr Geld auf drei Vergleichswohnungen gestützt habe, heißt es in dem richterlichen Hinweis. Denn der damals geltende Leipziger Mietspiegel 2020 „war nicht (mehr) qualifiziert“. Nur wenn eine Gemeinde einen „qualifizierten“ – das heißt nach wissenschaftlichen Kriterien erstellten – Mietspiegel hat, sind die Eigentümer verpflichtet, dieses Dokument als Grundlage für Erhöhungen zu verwenden.

Gericht schlägt Vergleich vor

Zwar handelt es sich bei dem Schreiben noch nicht um ein Urteil. Vielmehr schlägt der Richter den Streitparteien vor, die angemessene Höhe der Kaltmiete aus dem derzeit gültigen Mietspiegel 2022 zu ermitteln. Dieser Wert soll als Grundlage für einen Vergleich herangezogen werden. Beide Seiten haben nun drei Wochen Zeit, sich dazu zu äußern.

Doch klar ist schon mal, dass bei der Klagewelle mit angeblich Hunderten Verfahren der neue BCRE-Eigentümer Tristan Capital Partners offenbar gute Karten hat. Dieser Fondsverwalter aus London hatte Anfang 2023 etwa 2700 Leipziger Wohnungen für 240 Millionen Euro erworben. Wenige Wochen später hatte er zahlreiche Mieterhöhungen verschickt. Dass sich ein großer Immobilienkonzern nicht an den örtlichen Mietspiegel hält, sondern zum Teil deutlich mehr verlangt, gab es so noch nicht in der Messestadt.

In einer Klagebegründung führte BCRE aus, warum der Mietspiegel 2020 „nicht (mehr) qualifiziert“ gewesen sei. Demnach muss der Mietspiegel spätestens alle zwei Jahre aktualisiert werden. Als Stichtag dient das Datum der Datenerhebung in Tausenden Haushalten und bei den Eigentümern: Das war hier der 1. August 2020.

Folglich konnte der dazugehörige Leipziger Mietspiegel 2020 nur bis maximal 1. August 2022 als qualifiziert angesehen werden, argumentierte die Klägerin. Die nächste Datenerhebung fand erst zum 1. Oktober 2022 statt. Das sei ein klarer Regelverstoß gewesen, weshalb die Qualifizierung mindestens bis zum Juni 2023 verloren ging. Erst dann setzte der Stadtrat den bis heute geltenden Leipziger Mietspiegel 2022 in Kraft.

„Ein Scheitern mit Ansage“

„Die aktuelle Situation ist ein Scheitern mit Ansage“, erklärt Ronald Linke, Vorsitzender bei Haus & Grund Leipzig. Dieser Verband vertritt 2500 kleinere Eigentümer im Stadtgebiet. „Seit August 2022 haben wir innerhalb und außerhalb des Arbeitskreises Mietspiegel darauf hingewiesen, dass der Mietspiegel 2020 zu diesem Zeitpunkt seine Qualifizierung verloren hatte.“

Auch sei damals schon abzusehen gewesen, dass der nächste Mietspiegel 2022 ebenfalls nicht qualifiziert sein werde. Grund für beide Probleme waren Änderungen des Mietspiegelrechts vonseiten des Bundes. Dadurch sei die Kommune zeitweilig gar nicht mehr für die Datenerhebung zuständig gewesen.

„Die Stadt Leipzig hätte die Möglichkeit gehabt, Anfang 2023 noch zu einem rechtskonformen Mietspiegel im Wege der Indexfortschreibung zu kommen“, erläutert Linke. „Aber von dieser Möglichkeit ist aus politischen Gründen kein Gebrauch gemacht worden.“ Der Mieterverein habe die Stadt in einer falschen Bewertung der Rechtslage noch bestärkt – aus Angst, bei einer Fortschreibung nach dem Verbraucherpreis-Index könnte es sonst teurer für die Mieter werden.

„Die Situation ist auch für unsere Mitglieder erheblich unbefriedigend, weil ohne einen qualifizierten Mietspiegel zahlreiche Unsicherheiten bestehen“, betont Linke. Hunderte Verfahren würden die Kapazitäten des Amtsgerichtes überspannen und erhebliche Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten mit sich bringen.

Nächste Erhebung im Oktober

Das Amtsgericht hat die Verfahren auf alle zehn Miet-Richterinnen und Miet-Richter des Hauses verteilt, so Sprecher Alexander Länge. Nach seinen Angaben können die einzelnen Kollegen zur Frage, ob ein Mietspiegel „qualifiziert“ war oder nicht, unterschiedlich entscheiden.

Erst wenn eine höhere Instanz wie das Landgericht zu diesem Punkt ein Urteil spricht, wäre das verbindlich für alle weiteren Fälle. BCRE wies bereits in der Klageschrift darauf hin, dass man weder den Leipziger Mietspiegel 2020 noch den von 2022 als qualifiziert ansehe.

Im zuständigen Sozialamt verbreitet die Leiterin Martina Kador-Probst Optimismus, dass beim nächsten Mal alles besser wird. „Weil der Bundesgesetzgeber das Mietspiegelrecht im Jahr 2021 reformiert hat und der Freistaat Sachsen Ende 2022 die Zuständigkeit für die Erstellung der Mietspiegel auf die Kommunen übertragen hat, erwarten wir künftig einen geregelteren Erstellungsprozess als bei den vorangegangenen Mietspiegeln“, sagt sie.

Helfen werde auch die neue Auskunftspflicht, die sowohl für Mieter als auch für Vermieter gelte. Die Datenerhebung für den nächsten Mietspiegel solle zum 1. Oktober 2024 erfolgen, also noch rechtzeitig genau zwei Jahre nach der letzten Erhebung.

Leipzig droht Mietaufwärtsspirale

„Das Vorgehen von BCRE ist mieterfeindlich und belastet die Justiz“, meint Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke). „Auch ich kenne Haushalte, denen das Unternehmen dreist Mieterhöhungen mit Verweis auf drei Vergleichswohnungen zugesendet hat. Die Folge wäre eine weitere dramatische Mietaufwärtsspirale im Bestand.“

Sie hoffe, dass die gerichtlichen Verfahren den Mietspiegel im Ergebnis bestätigen, damit Mieterinnen und Mieter in Leipzig weiterhin vor überbordenden Kostensteigerungen beim Wohnen geschützt werden, so die Politikerin. „Obwohl auch dieses Instrument Erhöhungen erlaubt und einige Mängel aufweist, zeigt doch allein schon das Ankämpfen von BCRE oder Haus & Grund dagegen, wie wichtig ein qualifizierter Mietspiegel ist“, meint Nagel.